Gottfried Tschöp:
Krumbach an der Grenze – Bericht über einen „ausgefallenen“ Grenzgang
Die geschilderten Vorgänge verdeutlichen, wie sehr in vordemokratischer Zeit die Menschen zum Objekt und Spielball ihrer oder fremder Herren gemacht worden sind.
Eine erste Auflockerung der seit dem 17. Jh. verschärften Grenzlage Krumbachs, das damals mit keinem seiner geografischen Nachbarn in einer gleichen politisch-juristischen Beziehung stand, ergab sich, wenn auch nicht unbedingt so erwünscht, durch die Annexion des darmstädtischen hessischen Hinterlandes
durch Preußen 1866.
Seitdem gehörte Krumbach, wie alle heutigen Biebertaler Ortsteile außer Vetzberg, zum in dieser Form bis 1932 bestehenden Kreis Biedenkopf, dann wie Krofdorf-Gleiberg zum Kreis Wetzlar und seit 1979 zum Landkreis Gießen.
Die immer noch wegen der vielen vorhandenen Grenzsteine sehr präsent wirkende, südwärts der Dreiherrensteine in gerader Linie verlaufende ehemalige preußisch-darmstädtische Grenze bedarf
als Krumbacher Ostgrenze in ihrem Streckenverlauf keiner besonderen Erläuterung, ist sie doch als Forst- und Wanderweg oder neuerdings auch Mountainbike-Strecke den unterschiedlichsten Nutzern geläufig.
Wer auf dem „Schlags Weg“ in der waldwärts stark ansteigenden Verlängerung der Krumbacher Waldhausstraße Richtung Fohnbachtal unterwegs ist, überquert schon nach wenigen hundert Metern noch vor der Höhe die heutige Gemarkungsgrenze zu Wettenberg (Krofdorf-Gleiberg).
Die Distrikttafel „Krumbacher Mark“ am linken Wegesrand macht auf eine forstrechtliche Besonderheit aufmerksam:
Krumbach besitzt auf gemeindefremden Grund eine Markwald-Parzelle, die es bewirtschaften darf. Auf der dem Dorf zugewandten Seite befinden sich in der Abteilung „Der Himberg und die dicke Hecke“, genossenschaftlich genutzte Niederwaldbestände, denen besonders zu Zeiten, als das örtliche Backhaus noch regelmäßig mit Wellen aus den „Krumbacher Hecken“ befeuert wurde, eine nicht unwesentliche Bedeutung zukam.
Die Bezeichnung „dicke Hecke“ erinnert jedoch auch wieder an die Notwendigkeit, entlang der früher genau gekennzeichneten Grenze eigene territoriale wie gemeindliche Besitzstände zu behaupten.
Nach etwa zwei Drittel der Distanz zwischen den Dreiherrensteinen und der Südostecke der Krumbacher Gemarkung im Lammert trifft unsere Grenzwanderung wieder auf den Elisabethpfad, der, einem Pfad am Waldsaum des Himbergs herauf folgend, noch einmal ein Stück auf der Gemarkungsgrenze verläuft, die letzte Anhöhe jedoch rechts umgeht.
Bevor sich Krumbach und Krofdorf vor dem heute den Wald begrenzenden, südostwärts fließenden, Bach in Sichtweite der Lichtung vor dem Krumbacher Kreuz schließlich gemarkungsgeografisch trennen, muss man als Grenzwanderer zurzeit einen sich weitgehend selbst überlassenen Waldbestand passieren, der in dieser Form wohl wenig Ähnlichkeit mit früheren Zeiten haben dürfte.
Nicht erst seit Anfang der 2000er Jahre
archäologische Grabungen im Lammert
durchgeführt wurden, weiß man, dass es
hier eine Siedlungs- und Kulturtätigkeit
gegeben hat, die bis in die Zeit der Kelten,
also bis wenigstens in das 1. vorchristliche
Jahrhundert zurückreicht.
Manche Historiker gehen davon aus, dass nicht nur
auf dem damals kahlen Dünsberg, sondern
auch in seiner direkten Umgebung eine „Stadt“
mit bis zu 10 000 Menschen bestanden habe.
Davon ist heute gar nichts mehr zu sehen, wenngleich das Vorhandensein von Wasser und Wald immer auf Siedlungstätigkeit, Ackerbau oder auch einfache Metallschmelze schließen lassen.
Fast 1000 Jahre später dürfte der Lammert für längere Zeit eher eine strategische Bedeutung besessen haben, wenn man von der etymologischen Bedeutung dieser Flurbezeichnung ausgeht. „Lammert“ ist die durch Lautverschiebung und sprachliche Verballhornung entstandene Form des althochdeutschen Wortes „lantwer“ = „Landwehr“, „Grenzbefestigung“, einem Bollwerk also, das u.a. zur Sicherung und Kontrolle einer wichtige Straße diente.
Kann man dafür vor Ort irgendwelche Belege finden?
Zum einen erschwert einem die vor über 100 Jahren im heutigen Verlauf trassierte und ausgebaute Kreisstraße vom Tannenhof her zum Krumbacher Kreuz, die der interessierte Grenzgänger am Lammert überqueren muss, etwas die Suche, andererseits hat der Bereich an der Gemarkungsgrenze zu
Fellingshausen in diesem Zeitraum ebenfalls deutliche Eingriffe gegenüber seinem vorherigen Aussehen erfahren.
Ältere Krumbacher erinnern sich noch an Erzählungen ihrer Großeltern, wie das Gelände am Lammert durch Rodung zum Tal hin geöffnet wurde, um Krumbach klimatisch besser „durchlüften“ zu können.
Außerdem wurden vorherige Waldbestände abgeholzt, um zusätzliches Ackerland zu gewinnen.
So weist die unmittelbar vor dem Waldrand rechts von der Straße befindliche Flurbezeichnung „Langhecke“ auf eine längst verschwundene natürliche Grenzbefestigung hin. Das sichtbarste Indiz für eine stark frequentierte Wegführung entlang der Nordumgehung des Dünsbergs ist jedoch der gut erhaltene Hohlweg, der am Rand des Gemeindewald-Distrikts „Auf der Hute“ in westlicher Richtung eine frühneuzeitliche „Straße“ kennzeichnet, die erst mit dem Bau der heutigen Chaussee von Fellingshausen nach Frankenbach und weiter ins Hinterland im 18. Jh. allmählich in Vergessenheit geraten sein dürfte.