Gottfried Tschöp:
Krumbach an der Grenze – Bericht über einen „ausgefallenen“ Grenzgang
Wo der Pfaffenpfad westwärts seine Fortsetzung entlang des Birgel und weiter nach Frankenbach findet, beginnt mit der in nördlicher Richtung weisenden Überquerung des unterhalb der bewaldeten
Wilsbergkuppe verlaufenden Saumpfades der eigentliche Grenzgang.
Am nördlichen Steilhang zeigen zwei Distrikttafeln den alten Grenzverlauf an:
links Frankenbach (Gemeindewald Biebertal“,
rechts „Pfarrwald Krumbach“.
Direkt unterhalb des hier jäh nach Norden abfallenden bewaldeten Wilsberghanges erreicht man mit der Nordwestgrenze der Krumbacher Gemarkung auch die Stelle, an der die Grenzen von Frankenbach, Krumbach und Kirchvers zusammenstoßen, gleichzeitig die Gemeindegrenze von Biebertal und die
Kreisgrenze von Gießen gegenüber der Gemeinde Lohra im Kreis Marburg-Biedenkopf.
Von hier kann man heute über offenes Feld weit in das wald- und hügelreiche Hinterland sehen.
Das dürfte zur Zeit der Entstehung der Krumbacher Grenzen ganz anders ausgesehen haben,
verlief doch ziemlich genau entlang der heutigen Kreisgrenze eine langgestreckte „Land- oder Herrenheege“ von der Zollbuche bei
Oberweidbach bis zur Mündung der
Salzböde bei Odenhausen.
Solch eine Herrenheege war ein Gebück von untereinander verflochtenen Hainbuchen sowie Dornen mit einer Breite von 30 bis 50 Metern, das auf weiten Strecken noch mit Wall und Graben versehen war, soweit sich vorhandene natürliche Geländebesonderheiten als Grenzbefestigung ausnutzen ließen. Dieses effektiv wirkende Bollwerk aus hochmittelalterlicher Zeit wurde von der Landgrafschaft Hessen als Verteidigungs-maßnahme gegen Nassau und dessen Verbündete, vor allem das Erzbistum Mainz, errichtet.
Krumbach, die Blankensteiner „Exklave“, war mit Sicherheit in das bestehende Sicherungssystem so weit einbezogen, dass es durch den bestehenden natürlichen Grenzschutz im Dreißigjährigen Krieg sogar vor dem zerstörerischen Zugriff schwedischer Marodeure bewahrt blieb.
Erst seit dem 17./18. Jahrhundert wurden solche Heegen allmählich durch steinerne Grenzmarkierungen abgelöst. Rodungen zum Gewinn von Ackerland sowie der Holzbedarf für Holzkohlemeiler haben die
alten Heegen (vgl. „Hecken“) verschwinden lassen.
Der nun in östlicher Richtung führende Grenzgang folgt den auf beiden Seiten der Gemarkungsgrenze gegenüber Kirchvers überwiegend landwirtschaftlich genutzten Flächen.
Kleine Flurtafeln markieren die Krumbacher Flurstücke bis zu der heute durch die Kreisstraße Krumbach-Kirchvers durchschnittenen
„Schluft“-Kuppe, in deren exakter Mitte Orts-, Gemeinde- und Kreisgrenze verlaufen.
Sie setzen sich jenseits der Straße an der Birkwiese in östlicher Richtung fort und überqueren zunächst den von Süden kommenden Krumbach, der nördliche Ortsrand des Dorfes befindet sich nur knapp einen Kilometer entfernt.
Die Grenze folgt dann einem längeren Wander- und Wirtschaftsweg unterhalb des Heiligenwaldes bis zur Waldgrenze vor dem durch den Natur- und Vogelschutzverein Krumbach betreuten Biotop.
Hier kreuzt sie erstmals den von Kirchvers auf der gegenüberliegenden Seite entlang eines sich trichterartig
verbreiternden Bachbettes herauf geführten Elisabethpfad.
Dann folgt sie bachaufwärts, fast bis zur Quelle, dem beim ehemaligen Kirchverser Steinbruch in der Haard in den Krumbach mündenden Zulauf.
Bis hierhin reicht auch der Krumbacher Kirchenwald-Anteil im Distrikt „Heiligenwald“.
Die Grenze überspringt jedoch in der „Tiefenstruth“ den auf Krumbacher Seite angelegten Weg, folgt für gut hundert Meter dem Forstweg auf Kirchverser Bachseite, bevor sie wieder, durch Grenzstein und gut
erhaltenen kleinen Wall gekennzeichnet, auf den zuvor verlassenen Weg zurückführt.
Man kann daran deutlich erkennen, dass gegenwärtige Forst- und Wanderwege oftmals alte Grenzverläufe
durchschneiden oder sogar gänzlich unkenntlich machen.
Aber die Tatsache, dass entlang des zuletzt nur kleinen Wasserlaufes sowohl auf Krumbacher als auf Kirchverser Seite im frühen 20. Jahrhundert jeweils „auf eigenem Territorium“ ein Weg angelegt wurde,
spricht doch für die Langlebigkeit alter Grenzen im Bewusstsein der Menschen.
Die letzten gut 100 Meter der Krumbacher Gemarkung vor den nahen Dreiherrensteinen zeichnen sich durch zwei gut erhaltene Grenzsteine und die Überreste des ursprünglich durchgängig angelegten kleinen Grenzwalls aus.